Wiederherstellung der Durchgängigkeit an einer Staustufe am Main
Viele Nebengewässer des Mains weisen Laichhabitate für Lachse und Seeforellen auf. Der Main als Verbindung zum Rhein wird daher als ein Vorranggewässer im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie eingeordnet. Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) benennt in ihren Programmen „Lachs 2000“ und „Lachs 2020“ den Umbau von sechs großen Staustufen im Main als wichtige Maßnahme zur ökologischen Verbesserung.
Bei Kilometer 38,437 unterbricht die Staustufe Offenbach die ökologische Durchgängigkeit des Mains. Die dort vorhandene Fischaufstiegsanlage (FAA) entspricht nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Sie ist für aufwärts wandernde Fische nur schlecht auffindbar und auch nur selektiv passierbar.
Das Land Hessen – vertreten durch das Regierungspräsidium Darmstadt, Dezernat IV/Da 41.6 -Staatlicher Wasserbau – beauftragte die Ingenieurbüro Floecksmühle GmbH mit den erforderlichen Planungsleistungen zur Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit an der Staustufe Offenbach. Hydrotec untersuchte im Unterauftrag mit einer 3D-Modellierung in OpenFOAM die Strömungsverhältnisse an der zu errichtenden Anlage, um die Durchgängigkeit nachzuweisen und das Bauwerk mit der Berechnung von Geometrievarianten zu optimieren.
Wenig Platz für die neue Anlage
Die Standortbedingungen geben den Neubau einer FAA am rechten Ufer vor. Die Platzverhältnisse am Standort sind aufgrund dichter Bebauung durch Wasserkraft- und Verkehrsanlagen sehr beengt, sodass sie nur eine kompakte, technische Bauform mit Beckenstruktur erlauben.
Eine naturähnliche Bauweise wie etwa ein Raugerinne ist aufgrund der räumlichen Restriktionen nicht möglich. Deshalb sieht die Vorplanung vor, die Anlage als „Vertikal-Schlitzpass“ zu realisieren.
Detaillierte Untersuchung der Strömung mit dem 3D-Modell OpenFOAM
Hydrotec erhielt den Auftrag, die Strömungsverhältnisse innerhalb der Aufstiegsanlage in den angrenzenden Gewässerbereichen im 3D-Modell zu untersuchen und ggf. zu optimieren. Für die Modellierung kam das 3D-Programm OpenFOAM zum Einsatz.
Die 3D-Simulation hat die folgenden Ziele:
- Nachweis der ethohydraulischen Funktionsfähigkeit (Passierbarkeit, Auffindbarkeit)
- Ermittlung des funktional notwendigen, geringsten Dotationswasserabflusses
- Bautechnische Optimierung des Planungsentwurfs
Im Fokus der Studie lagen die Strömungsverhältnisse im Einstiegsbereich der FAA sowie unterhalb der Wasserkraftanlage. Im Unterwasserbereich war zu untersuchen, wie die Abflüsse aus dem Kraftwerk und der FAA interagieren und unter welchen Bedingungen sich dort eine ausreichende Leitströmung aus der FAA für einen durchgehenden Wanderkorridor einstellt.
Für den Modellaufbau wurden Vermessungs- und Peilungsdaten ausgewertet. Zusätzlich wurden Daten der bestehenden Anlagen und die Planungsunterlagen des zu bauenden Bauwerks genutzt. Das Modell im Unterwasserbereich konnte anhand von ADCP-Messungen (Ultraschall-Doppler-Profil- Strömungsmessung) für die Abflusszustände Q30 und Q300 kalibriert werden.
Komplexe Geometrie abbilden und optimieren
Die Planung der FAA sieht einen Vertikal-Schlitzpass mit einer mehrfach gewendelten Linienführung vor. Der Einstieg für die Fische ist parallel zum unterwasserseitigen Ende des Saugschlauchs der Wasserkraftanlage angeordnet.
Über einen Dotationskanal wird zusätzliches Wasser vom Oberwasser in den Einstiegsbereich der FAA geleitet, um die ethohydraulische Auffindbarkeit bei allen Abflusszuständen zu gewährleisten.
Der unterwasserseitige Einstieg, das Wendebecken, das Dotationswasserzugabe-System sowie die ersten Becken des Vertikal-Schlitzpasses wurden im 3D-Modell abgebildet (siehe Bild oben). Das überwiegend aus Hexaedern bestehende Berechnungsnetz besitzt über 650.000 Zellen.
Für die Simulationsauswertung wurden Quer- und Längsschnitte an definierten Stellen erstellt, um die Strömungsverhältnisse im durchflossenen Bereich darzustellen und zu bewerten.
Anhand der berechneten Geschwindigkeitskomponenten lassen sich Rückströmbereiche identifizieren, die einen wesentlichen Einfluss auf die aufwärtsgerichtete Wanderbewegung der Fische haben. Mit einer ethohydraulischen Farbskala wird die Strömung mit Bezug auf die Rheotaxis (aktiv, passiv) und die Schwimmgeschwindigkeiten (Sprintgeschwindigkeit sowie die gesteigerte und die Dauerschwimmgeschwindigkeit) von Fischen klassifiziert.
3D-Modell ermöglicht Nachweis der Passierbarkeit und optimiert Planungsentwurf
Die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Planungsentwurfs im Sinne der Passierbarkeit wurde mit dem 3D-Modell nachgewiesen. Mit Variantenuntersuchungen konnte der Planungsentwurf funktional verbessert und bautechnisch vereinfacht werden. In einem weiteren Projektschritt werden weitergehende Untersuchungen zum Nachweis der Auffindbarkeit der Gesamtanlage innerhalb des Unterwassermodells folgen.
OpenFOAM
OpenFOAM (Open Source Field Operation and Manipulation) ist eine frei verfügbare numerische Simulationssoftware zur Lösung von physikalischen Problemstellungen in den Bereichen Elektromagnetismus, Strömungsmechanik, Strukturmechanik, Verbrennung und Wärmeleitung. Für die Modellierung von Strömungen mit einer dreidimensionalen hydrodynamischen Charakteristik – wie im hier beschriebenen Projekt – bietet sich OpenFOAM als Simulationssoftware an.
Der gewählte Solver löst die dreidimensionalen Reynoldsgleichungen auf Basis der Finite- Volumen-Methode mit impliziter Zeitdiskretisierung. Mit der implementierten Volumeof-Fluid-Methode können auch komplexe Strömungszustände mit gekrümmtem Wasserspiegel abgebildet werden.
Volker Mißler, M. Eng., Prof. Dr.-Ing. Alpaslan Yörük