Die Talsperre Eibenstock der Landestalsperrenverwaltung Sachsen (LTV Sachsen) mit einem Einzugsgebiet von 200 km² liegt im Erzgebirge im Oberlauf der Zwickauer Mulde. Aufgrund der geringmächtigen Böden und der steilen Topografie steigt der Gewässerpegel bei intensiven Niederschlägen sehr schnell an. Der gewöhnliche Hochwasserrückhalteraum des Mehrzweckspeichers umfasst 10 Mio. m³. Im Hochwasserfall verfolgt die Talsperrensteuerung das Ziel, eine ungünstige Überlagerung der Wellenscheitel aus der Zwickauer Mulde und dem unterhalb des Speichers zufließenden Schwarzwasser zu verhindern.
Üblicherweise beruhen die Steuerregeln von Speichern auf aktuellen Messwerten wie Zufluss, Füllstand, Unterwasserpegel etc. Im Hochwasserfall treffen die Talsperrenbetreiber häufig von diesen Regeln abweichende Entscheidungen, die auf ihrem langjährigen Erfahrungswissen beruhen.
Operationelle Abflussvorhersagesysteme bieten zusätzliche Informationen durch deterministische oder probabilistische Vorhersagen von Niederschlägen und Abflüssen. Die Rückhalteeffektivität lässt sich weiter steigern, wenn Optimierungswerkzeuge in das Vorhersagesystem integriert sind. Durch wiederholte Simulation über den Vorhersagehorizont ermitteln sie die Drosselabgabe, mit der sich die Steuerziele optimal erreichen lassen. Dadurch unterstützen sie die Entscheidungsfindung über die im Ereignisfall anzuwendende Steuerstrategie.
In einer Studie wurde für die Talsperre untersucht, inwieweit eine vorhersagebasierte und optimierte Steuerung den Hochwasserrückhalt gegenüber einer regel- bzw. erfahrungsbasierten durchgeführten Steuerung verbessern kann (1), (2). Die verwendeten Daten stammten vom Hochwasser im Juni 2013. Dazu wurde für das Untersuchungsgebiet Zwickauer Mulde bis zum Pegel „Aue 3“ ein Prototyp-Vorhersagesystem auf der Plattform Delft-FEWS aufgebaut. Es besteht aus dem Niederschlag-Abfluss-Modell NASIM und RTC-Tools (Real Time Control) für die Vorhersage und die Abbildung bzw. Optimierung von Steuerszenarien.
Für die Optimierung der Talsperrenabgabe mit RTC-Tools wurde ein vereinfachtes Ersatzsystem konfiguriert, das die physikalischen Prozesse abbildet. Die Optimierung erfolgt über einen definierten Vorhersagehorizont von mehreren Tagen mit den folgenden Steuerzielen:
Delft-FEWS importiert alle externen Daten und stellt sie den Modellen aufbereitet zur Verfügung und organisiert die Kommunikation zwischen NASIM und RTC-Tools. NASIM berechnet einmalig für jeden Vorhersagezyklus den Zufluss der Talsperre Eibenstock, den Abfluss des Schwarzwassers und des Zwischeneinzugsgebiets unterhalb der Talsperre Eibenstock bis zur Vereinigung von Zwickauer Mulde und Schwarzwasser. Zum Vorhersagezeitpunkt t0 schließt sich eine Vorhersage an, für die NASIM ebenfalls die Zuflüsse berechnet.
Mit diesen Informationen optimiert RTC-Tools durch wiederholte Simulation die Drosselabgabe, sodass die Steuerziele über den ersten Vorhersagehorizont eingehalten werden. Für den nächsten Vorhersagezyklus zum Zeitpunkt t0+1 führt NASIM mit den dann verfügbaren Messwerten den nächsten Updatelauf und mit den numerischen Wettervorhersagen die nächste Vorhersagesimulation aus. Darauf folgt wiederum der nächste RTC-Tools-Updatelauf zum Nachführen der Speicherfüllung und des Wellenablaufs und die nächste Optimierung der RTC-Tools. RTC-Tools findet die optimale Steuerstrategie Ein Überlaufen der Talsperre lässt sich bei einem Extremereignis wie im Sommer 2013 in keinem Fall verhindern. Die Zielvorgaben werden aber durch die folgenden Maßnahmen optimal eingehalten:
Diese Strategie wurde im Juni 2013 aufgrund des Erfahrungs- und Expertenwissens der LTV-Mitarbeiter umgesetzt und das Optimum nahezu erreicht.
RTC-Tools sind mit den geeigneten Vorhersageprodukten in der Lage, das in diesem Fall erforderliche Maß der Vorabsenkung der Talsperre zu erkennen. Verglichen mit der erfolgten Steuerung während des Ereignisses von Juni 2013 ist das System noch ein wenig erfolgreicher, indem es eine weitergehende Absenkung des Hochwasserscheitels erreicht.Die Untersuchung zeigt, dass das vorhersagegestützte Optimierungswerkzeug RTC-Tools im Ereignisfall Steuerentscheidungen testen, beurteilen und absichern kann.
RTC steht für Real Time Control (Echtzeitsteuerung). Die modular aufgebaute Open Source Toolbox zur Echtzeitsteuerung von hydraulischen Bauwerken wie Wehren, Pumpen, Wasserkraft-Turbinen etc. , das von Deltares (Delft, NL) als Open Source Projekt weiterentwickelt wird (oss.deltares.nl/web/rtc-tools). Es dient vielfach zur vorhersagebasierten, operationellen Steuerung von Speichersystemen zur Optimierung der Energieerzeugung unter konkurrierenden Bewirtschaftungszielen (3). Im vorgestellten Projekt ergänzt RTC-Tools die Abflussvorhersage mit NASIM und Delft-FEWS um ein Modul zur Optimierung von Steuerstrategien.
Dr.-Ing Oliver Buchholz, Dipl.-Ing. Benedikt Sommer