Die durch den Westen Niedersachsens fließende Vechte wurde in den 1960er Jahren fast kanalartig ausgebaut. Man begradigte dutzende Mäanderschleifen und befestigte die Ufer des Flachlandflusses, um die häufig auftretenden Hochwasser verhindern. In den folgenden Jahrzehnten verarmte die Ökologie der Vechte und ihrer ehemaligen Aueflächen. Um Hochwasserschutz und Ökologie der Vechte zu verbessern, erarbeiteten deutsche und niederländische Projektpartner 2007 bis 2009 die „Grenzüberschreitende Vechtetal-Strategie“. Hydrotec trug mit hydraulischen Berechnungen dazu bei, Hochwasserschutz und Ökologie an der Vechte zu verbessern.
Es liegt nahe, zu überprüfen, ob die vorhandenen Altarme wieder an den begradigten Gewässerlauf anschließbar sind. Dadurch verlängert sich der Fließweg und man schafft vielfältige Naturräume im und am Wasser. Verbesserungen für Hochwasserschutz und Gewässerökologie lassen sich so gleichzeitig erreichen.
Ein ehemaliger Mäander der Vechte nördlich von Nordhorn bot sich für ein Pilotprojekt an. Nach ersten Planungsschritten des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) war zu klären, wie sich eine solche Umgestaltung auf die Wasserführung des Flusses auswirkt. Hydrotec erstellte dazu im Auftrag des NLWKN ein 1D-hydraulisches Modell für den ca. 8 km langen Abschnitt in der Nähe des Klosters Frenswegen.
Nach Abbildung des Istzustandes wurden Planungsvarianten untersucht, die den verlängerten Flusslauf, eingebautes Totholz, entfernte Ufersicherungen und ein verändertes Stauziel am unterhalb gelegenen Wehr umfassten. Weiterhin sah die Planung vor, dass die Vechte unter normalen Umständen über den alten Mäander fließt, bei Hochwasser aber zusätzlich den begradigte Flusslauf zusammen mit der um 1 m abgetieften Auenfläche flutet.
Unsere Modellrechnungen bestätigten, dass der so gestaltete Anschluss des Altarms nicht zu einer Verschärfung der Hochwassersituation führen wird. Damit konnten die Planungen für dieses Vorhaben in die nächste Runde gehen.
Die Vechtestrategie und die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie lassen in naher Zukunft weitere Entwicklungsprojekte an der Vechte erwarten. Der NLWKN als wasserwirtschaftlicher Dienstleister in Niedersachsen beauftragte Hydrotec deshalb, im Anschluss an diese Pilotstudie, ein Gesamtmodell der niedersächsischen Fließstrecken der Vechte sowie ihres Nebenflusses Dinkel zu erstellen.
Aus vorhandenen Profil- und Modelldaten der Flüsse setzen wir mit dem 1D-Wasserspiegellagen-Programm Jabron ein einheitliches Gesamtmodell zusammen, das allerdings noch weiße Flecken aufwies. In diesen Bereichen wurden, mit Unterstützung eines Vermessungsbüros, ergänzende Querprofile aufgenommen.
Aus den Modellrechnungen mit Jabron resultierten die Wasserspiegellagen für den Istzustand für die Abflüsse MNQ, MQ und QBordvoll. In anschließenden Varianten-Berechnungen wurden mögliche Umbaumaßnahmen am Gewässer, wie die Anschlüsse weiterer Altarme, modelliert und die Absenkung von Stauzielen an Wehranlagen untersucht.
Der NLWKN verfügt mit dem hydraulischen Gesamtmodell über eine Grundlage für die Bemessung von Renaturierungsmaßnahmen, die es ermöglicht, deren Auswirkungen auf das Abflussverhalten der Vechte abzuschätzen.
Auch die Entwicklung in der hydraulischen Modellierung wurde bereits in den Blick genommen: Die Modelldaten wurden so aufbereitet, dass eine zukünftige Übernahme in ein 2-dimensional rechnendes Modell problemlos möglich ist.
Der Aufbau des Gesamtmodells stellte gleichzeitig einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (HWRM-RL) dar. Der NLWKN erstellt und veröffentlicht auf Basis der hydraulischen Berechnungen Hochwassergefahren- und -risikokarten für Niedersachsen. Die Landkreise erhalten vom NLWKN die HQ100-ÜSG-Flächen aus dem HQ mittel-Szenario, um auf dieser Grundlage neue Überschwemmungsgebiete auszuweisen.
Auf Basis des 1D-Modells konnte Hydrotec die Überschwemmungsgebiete für die maßgebenden Bemessungsabflüsse HQ100 nachvollziehen und für die zwei zusätzlichen Lastfälle HQhäufig sowie HQextrem neu berechnen.
Durch die Ermittlung von Wasserspiegellagen bei einem HQ100 in Ist- und Planzustand konnte der Nachweis der HW-Neutralität der angedachten Umbauten geleistet werden.
Im Winter 2012 konnte die Grafschaft Bentheim die Umbaumaßnahmen am Altarm Frenswegen schließlich beginnen. 20.000 m³ Erdreich wurden bewegt, um den ursprünglichen Flusslauf und die Aue wiederherzustellen. Der Vechte-Fließweg wurde dadurch um 0,5 km verlängert, eine Biotopschutzfläche von 11.000 m² bietet nun Lebensraum für Flora und Fauna.
Dipl.-Ing. Martin Dornseifer, Dipl.-Ing. Heike Schröder