Hydrothemen Nr. 23 / Oktober 2012
20.10.2012Umbau des Emschersystems in Essen
14.05.2013Sieben Jahre erfolgreiche Projektarbeit
Baden-Württemberg erhebt seit 2003 landesweit die Grundlagen für die Erstellung von Hochwassergefahren- und -risikokarten. Sukzessive werden an ca. 12.500 km Gewässern die mögliche Ausdehnung und Wassertiefe verschiedener Hochwasserereignisse berechnet. Mit der Verabschiedung der EG-HWRM-RL in 2007 wurden die Ziele des landesweiten Programms angepasst. Seit 2005 arbeitet Hydrotec kontinuierlich an diesem Landesprojekt zum Aufbau eines einheitlichen Datenbestandes mit. Beginnend mit einem Pilotprojekt an der Fils (Neckareinzugsgebiet) erhielt Hydrotec bis 2012 Aufträge für weitere Teilbearbeitungsgebiete an den Flüssen Rems, Aich, Kocher/Lein, Dreisam/Elz, Hochrhein, Kinzig und Acher/Rench.
Informationen zur Umsetzung der HWRM-RL in Baden-Württemberg
Konzepterprobung: Pilotprojekt Fils
Die in der schwäbischen Alb entspringende Fils mündet nach 63 km Fließlänge in den Neckar. Das Regierungspräsidium Stuttgart hatte die Vorgehensweise zur Ermittlung der Hochwasserflächen in einem Verfahrenskonzept festgelegt, das u. a. anhand des Fils-Einzugsgebiets erprobt und optimiert werden sollte. Hydrotec erhielt den Auftrag zur Bearbeitung des Oberlaufs der Fils.
Insbesondere in Mündungsbereichen waren Verfahren zur Homogenisierung der Flächen und Wasserspiegellagen zu entwickeln. Teilweise entsprach die vorhandene oder ermittelte Datengrundlage für die hydraulischen Modellierungen nicht den Notwendigkeiten einer erfolgreichen Umsetzung des Konzepts. Dies führte zu Abweichungen in den Prozesszielen und zeigte auf, wo eine Verbesserung der Grundlagendaten und der Vorgaben erforderlich war. Hydrotec konnte hier fachlich überzeugende Lösungswege aufzeigen.
Das Bearbeitungskonzept konnte mit diesen Erfahrungen praxisnäher und umsetzbarer gestaltet und so die Qualität der Bearbeitung und der Ergebnisdaten gesteigert werden.
2D-Modellierung – Kosten sinken, Qualität steigt
Besonders selten auftretende Hochwassersituationen lassen sich aufgrund von Umströmungs- und Rückströmungssituationen häufig mit einer 2D-Modellierung zuverlässiger abbilden als mit einem 1D-Modell. Als nachteilig galten bei der 2D-Modellierung der erhöhte Aufwand für die Modellerstellung und die Rechenzeiten. Hier hat es seit 2005 erfreuliche Entwicklungen gegeben.
Das 2D-Modell der Fils mit 500.000 Knoten musste zur besseren Handhabbarkeit in zwei Teilmodelle zerlegt werden und benötigte eine Woche Rechenzeit. Heute stehen uns Rechnerkapazitäten zur Verfügung, die deutlich größere Modelle innerhalb weniger Stunden meistern.
Durch die Entwicklung von Software-Werkzeugen lassen sich aufwändige händische Arbeitsschritte zur Erstellung des Berechnungsnetzes automatisieren. Beides führt dazu, dass 2D-Rechnungen inzwischen zu deutlich geringeren Kosten durchgeführt werden können.
Gleichzeitig konnten wir die Qualität der Berechnungsergebnisse weiter steigern. Bei flachen Gebieten werden inzwischen standardmäßig zur korrekten Berechnung der Wasserspiegelhöhen und Fließwege Gräben und Grabenbruchkanten in das Berechnungsnetz integriert. Gleiches gilt für Straßen, die den Abflussprozess oft merklich beeinflussen.
Jabron-Funktionen und -Werkzeuge unterstützen das Projekt
Gewässer, in denen sich die Fließbewegung in der Berechnung gut angenähert auf eine Fließrichtung reduzieren lässt, lassen sich mit dem 1D-Berechnungsansatz zuverlässig und kostengünstig modellieren.
Von den hohen Anforderungen der Auftraggeber profitierte unser 1D-Wasserspiegellagen-Programm Jabron. Es wurde um Funktionen zur Abbildung von überströmten Bauwerken erweitert und erhielt Import- und Export-Schnittstellen für das in Baden-Württemberg verwendete WPROF-Format für die Profildatenerfassung.
ArcGIS for Desktop – unerlässliches Werkzeug mit viel Potenzial
Die Arbeit mit dem Desktop-GIS ArcView von ESRI hat seit 2005 eine rasante Entwicklung erfahren. Zu Projektbeginn in der Umstiegsphase von ArcView 3 zu ArcView 8 diente das GIS vor allem zur Verschneidung der Wasserspiegellagen und zur Visualisierung von Berechnungsergebnissen. Shapefiles waren das gängige Datenformat, viele Arbeitsschritte wurden händisch durchgeführt. Aktuell setzen wir ArcGIS for Desktop Version 10 ein – der Wechsel zu 10.1 steht ins Haus.
Nahezu alle GIS-Daten werden in File-Geodatabases vorgehalten. Ergänzend zu den in ArcGIS vorhandenen Funktionalitäten nutzen wir Python-Skripte, Models und neue Schnittstellen, die es ermöglichen, effizient und fehlerarm mit großen, komplexen Datenbeständen zu arbeiten.
Kopplung von NASIM und HYDRO_AS-2D zur Modellierung der Rheinebene
Das in der Rheinebene liegende westliche Projektgebiet Dreisam/Elz stellt für Modellierer eine große Herausforderung dar. Es besitzt nur geringes Gefälle und das Gewässernetz ist durch zahlreiche Verzweigungen, parallel verlaufende Gewässer und Eindeichungen stark überformt.
Die für Baden-Württemberg vorliegenden Regionalisierungswerte (Abflüsse) sind in der Rheinebene als hydrologische Bemessungsgrößen nicht belastbar. Bessere Daten zur Abflussbildung lieferte die Modellierung mit NASIM. Die Ermittlung der Abflusskonzentration erfolgte im 2D-Modell, das an definierten Übergabepunkten NASIM-Ganglinien als Belastungsdaten verwendet.
Die hydraulische Modellierung der Gewässer ist mit einer instationären 2D-Modellierung durchzuführen, um die Abflussverhältnisse im Gebiet und die Volumina korrekt berücksichtigen zu können. Stationäre Fließzustände würden zu einer deutlichen Überschätzung der Abflussvolumina und damit der Überflutungsflächen führen.
Deichbreschenberechnung
Ebenfalls für die Berechnungen an Dreisam/Elz (und später auch an Kinzig und Acher/Rench) wurde eine mit dem Auftraggeber abgestimmte Vorgehensweise zur Ermittlung der hochwassergefährdeten Bereiche hinter eingedeichten Gewässerstrecken entwickelt. Mit Hilfe von Deichbreschenszenarien und Überlagerung der jeweiligen gefährdeten Bereiche wurde die Gesamtgefährdungssituation abgeschätzt.
Für die Deichbreschenszenarien werden auch Ergebnisse von Zwischenzeitpunkten dargestellt, um das Fortschreiten, die Richtung und die Schnelligkeit der Ausbreitung bewerten zu können (s. Abb.).
Ein Steckbrief für jede Deichbresche mit Angaben zu geografischen Gegebenheiten, Deichhöhe, Wasserspie-gellagen und Volumina ergänzt die Ergebnisdarstellung.
Das Team HWGK-BW bei Hydrotec
Mit steigendem Projektumfang erweiterte sich die Zahl der beteiligten Projektmitarbeiter und bildete ein Projektteam HWGK-BW. Neben der hohen fachlich-technischen Quali-fikation kam es bei der geforderten Aufgabenbearbeitung auf die Kommunikationsfähigkeit und die kreative Lösungsfindung an. „Wie lassen sich komplexe hydraulische Verhältnisse korrekt abbilden?“ – „Wie könnte ein Skript oder ein Software-Werkzeug händische ‚Fleißarbeit‘ automatisieren?“ Den Hydraulikern, GIS-Anwendern und Programmierern gelang es, solche Fragestellungen im Dialog erfolgreich zu lösen.
Optimale Grundlage für die nächsten Arbeitsschritte
Baden-Württemberg stellt hohe Anforderungen an die Qualität der Daten und ihrer Grundlagen. Dies bedeutet eine gute Vorbereitung für die im Anschluss erarbeiteten Risikomanagementpläne. Zukünftige Aktualisierungen werden auf dieser Basis mit insgesamt weniger Aufwand durchzuführen sein. Langfristig werden die Anlieger hochwassergefährdeter Gewässer von der Kenntnis der Hochwassergefahr und der Hochwassersituation profitieren.
Dipl.-Geogr. Lisa Friedeheim, Dr.-Ing. Hartmut Sacher