Hochwasserschutz verstärken und komplexe Abflussprozesse besser verstehen
26.11.2020MapView Online für HYDRO_AS-2D verfügbar
01.12.2020Planung von Retentionsraum für Extremhochwasser
Das Land Rheinland-Pfalz plant zur Verbesserung des Hochwasserschutzes am Rhein einen zusätzlichen Reserveraum für Extremhochwasser in der Hördter Rheinaue südlich von Germersheim. Insgesamt 25 teilweise schon umgesetzte Hochwasserrückhaltemaßnahmen sollen die Oberrheinanlieger zukünftig vor einem bis zu 200-jährlichen Hochwasser im Rhein schützen (ca. 5.000 m³/s am Pegel Maxau).
Der Reserveraum Hördt soll erst bei darüber hinausgehenden Hochwasserabflüssen aktiviert werden. Die Planung erfolgt mit Blick auf die mögliche Verschärfung der Hochwassergefahr durch den Klimawandel und zur Abwehr von extremen Hochwasserereignissen.
Hydrotec erhielt 2016 von der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD Süd) den Auftrag, mit der 2D-Modellstudie Reserveraum Hördt mit HYDRO_AS-2D seine Wirksamkeit modelltechnisch zu untersuchen und zwei Planungsvarianten hinsichtlich ihrer Hochwasserschutzwirkung miteinander zu vergleichen.
Hochwasserrückhalt in der Hördter Rheinaue
Der ca. 870 ha große Planungsraum befindet sich in Rheinland-Pfalz im Landkreis Germersheim und erstreckt sich ca. 5 km entlang der linken Rheinseite. Die land- und forstwirtschaftlich genutzte Fläche umfasst auch das Naturschutzgebiet „Hördter Rheinaue“.
Sie ist geprägt durch eine erhaltene Auenlandschaft mit Altrheinabschnitten und zahlreichen Gräben. In der Rheinniederung befinden sich eine Vielzahl von Biotopen mit stehenden und fließenden Gewässerbereichen sowie Feuchtwiesen und Wäldern.
Der geplante Hochwasserrückhalteraum wird durch einen neu anzulegenden Binnendeich gesichert werden. Bei einem Extremhochwasser (größer HQ 200) soll er geflutet werden und bis zu 32 Mio. m³ Wasser aufnehmen.
In der Vorplanung wurden zwei Varianten erarbeitet:
- Planvariante 1 sieht den Einbau von drei festen Schwellen im Rheindeich vor, die ab einem Abfluss größer 5.000 m³/s überströmt werden.
- Planvariante 2 beinhaltet zusätzlich eine gezielte und bautechnisch gesicherte Deichöffnung mit definiertem Zeitpunkt und definierter Breite.
Modellierung beantwortet vielfältige Fragestellungen
Für die Modellstudie Reserverraum Hoerdt wurde das bestehende 2D-Modell des Rheins zwischen Leimersheim und Speyer aus dem Projekt „Rückhalteraum Elisabethenwört“ des Regierungspräsidiums Karlsruhe verwendet.
Anhand instationärer und stationärer Rechenläufe in HYDRO_AS-2D wurden die folgenden Fragestellungen bearbeitet, um Informationen für den weiteren Planungsprozess zu gewinnen:
- Wirksamkeit des Rückhalteraums für unterschiedliche stationäre und instationäre Extremabflüsse
- Wirksamkeit des Rückhalteraums für die zwei Planvarianten
- Bemessung der Binnendeichhöhe
- Bemessung der Schwellenhöhen
- Prozess der Restentleerung nach Ablauf des Hochwassers
- Kombinierte Wirkung der Rückhalteräume Elisabethenwört und Hördt
Ökologische Flutungen
Zur Erhaltung der auentypischen Flora und Fauna sowie zur Anpassung eines möglichst großen Teils der Waldflächen werden im Reserveraum Hördt Absperrbauwerke und Flutungsgerinne angelegt, die regelmäßige ökologische Flutungen des Geländes ermöglichen.
Die dadurch entstehende Vorfüllung war bei den hydraulischen Berechnungen der Planvarianten zu berücksichtigen. Das Zufluss- und Auslaufbauwerk für die ökologische Flutung wurde bei den instationären Berechnungen der Planvarianten geschlossen abgebildet. Hierzu wurden zum Start der Berechnung die Bauwerke mittels eines Berechnungsskriptes geschlossen.
Wirksamkeit des Rückhalteraums
Um die hydraulische Wirkung des Rückhalteraums zu untersuchen, wurde das Modell mit Hochwasserganglinien mit maximal 5.200 m³/s bzw. ca. 5.800 m³/s beaufschlagt, die auf historischen Ereignissen basieren.
Im Allgemeinen zeigen die Ergebnisse, dass
- der Wasserspiegel im Rhein durch die Flutung des Rückhalteraums Hördt mit teilweise über 20 cm sehr deutlich absinkt,
- die Wirkung des Rückhalteraums Hördt auf den Wasserspiegel über die Modellgrenzen hinaus ins Ober- und Unterwasser reicht
- die Fließgeschwindigkeiten sich nur in geringem Maße ändern. Im Oberwasser tritt eine Beschleunigung und im Unterwasser eine Entschleunigung auf.
Die Umsetzung der Planungen zum Rückhalteraum Hördt führt also zu einer Verbesserung des Hochwasserschutzes bei extremen Hochwasserereignissen.
Vergleich der Planvarianten
Mit den Ergebnissen der Variantenrechnungen erhält die SGD Süd wichtige Informationen über die Abflussprozesse und die Rückhaltewirkung:
- Die zusätzliche Deichbresche bewirkt bei einem Bemessungsabfluss von 5.200 m ³/s eine deutlich stärkere Absenkung des Wasserspiegels (13 cm gegenüber 5 cm ohne Deichbresche).
- Bei einem Bemessungsabfluss von 5.800 m³/s zeigt die Deichbresche eine etwas geringere Wirkung, da durch sie vor dem Hochwasserscheitel Wasser in den Retentionsraum einströmt. Dadurch verringert sich das zur Verfügung stehende Retentionsvolumen bei Eintritt des Scheitels (19 cm Absenkung gegenüber 23 cm ohne Deichbresche).
- Der Abflussscheitelwert reduziert sich bei Planvariante 1 um ca. 40 m³/s (5.200 m³/s) bzw. 300 m³/s (5.800 m³/s).
- Der Abflussscheitelwert reduziert sich bei Planvariante 2 um ca. 100 m³/s (5.200 m³/s) bzw. 200 m³/s (5.800 m³/s).
Die Wirksamkeit der festen Schwellen (Planvariante 1) nimmt mit geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit eines Hochwassers (bei mehr als 600 bis 700 m³s über dem Bemessungsabfluss liegenden Ereignissen) zu.
Die zusätzliche Deichöffnung (Planvariante 2) verbessert die Wirksamkeit des Reserveraums, besonders bei Hochwasserereignissen, die den Bemessungsabfluss nur wenig überschreiten. Bei sehr großen Überschreitungen ist der Einsatz der Deichbresche nicht erforderlich.
Entleerung des Rückhalteraums
Zusätzlich wurde mit dem 2D-Modell untersucht, wie sich der Rückhalteraum nach Ablauf der Hochwasserwelle wieder entleert und welche Wirkung die Absperrbauwerke dabei haben.
Es wurde deutlich, dass es bei zu frühem Öffnen der Absperrbauwerke zur Fließumkehr in einzelnen Bauwerken kommen kann und dadurch der Entleerungsvorgang des Rückhalteraums verzögert wird. Hier ist eine gezielte Steuerung der Bauwerke erforderlich.
Dipl.-Ing. Leandro Mücke, Prof. Dr.-Ing. Alpaslan Yörük